Wie wird Geopolitik die Unternehmenskommunikation verändern?

Von Christian F. Hirsch

Unternehmen leben heute in neuen Realitäten. Noch vor wenigen Jahren war Geopolitik für viele Unternehmen ein abstraktes Konzept. Es kam bestenfalls in den Berichten großer Beratungen oder Think Tanks vor. Internationale Expansion? Ja. Lokale Marktchancen? Natürlich. Aber geopolitische Strategien? Nur für Ölkonzerne und Großbanken relevant.

Diese Illusion ist spätestens seit 2022 geplatzt: Krieg in Europa, Handelskriege zwischen China und den USA, Rohstoffkrisen, Lieferkettenzusammenbrüche und hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe oder Desinformationskampagnen haben unübersehbar gemacht, wie stark geopolitische Dynamiken auf Unternehmen durchschlagen.

Doch während Unternehmensstrategen langsam beginnen, geopolitische Szenarien zu berücksichtigen, stecken Unternehmenskommunikatoren in dieser Hinsicht noch mitten in einem tiefen Dornröschenschlaf. Doch sie werden bald erwachen. Sie müssen aufwachen, denn Geopolitik wird genau jene Profession, deren Teil ich selber seit über 20 Jahren bin und die ich genau beobachte, noch sehr verändern. Möglicherweise ziemlich rasant sogar.

Ein neues Denken ist erforderlich, ein neuer Ansatz muss her. Unternehmenskommunikation muss geopolitikfest werden. Geopolitical Corporate Communications oder auch geopolitikorientierte Unternehmenskommunikation bezeichnet deshalb einen Kommunikationsansatz, der systematisch geopolitische Entwicklungen, Risiken und Konfliktlinien in die Unternehmenskommunikation einbezieht. Ziel ist es, nicht nur reaktiv auf globale Krisen zu reagieren, sondern proaktiv Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die unter geopolitischem Druck bestehen.

Es geht darum, geopolitische Dynamiken zu antizipieren, denn Unternehmen brauchen eine Frühwarnung auch für kommunikative Risiken. Es geht aber auch um eine Positionierung in globalen Konfliktfeldern und die Frage, wie und ob sich Unternehmen zu internationalen Entwicklungen äußern sollten oder müssen.

In der Ära der geopolitischen Renaissance, der Polykrise und des Hybriden Krieges brauchen Unternehmen eine krisenrobuste Kommunikation. Unternehmenskommunikatoren müssen deshalb zukünftig Narrative entwickeln, die auch im geopolitischen Sturm tragfähig sind. Und sie müssen ein Stakeholder Management für geopolitisch fragmentierte Märkte aufbauen. Das gelingt nur mit lokalisierter, aber wertebasierter Kommunikation.

Die Geopolitik ist schneller ins Business eingezogen, als sich selbst Experten das vorstellen konnten. Nun ist es Zeit, dass auch die Unternehmenskommunikation nachzieht und die „Zeitenwende“ erkennt. Ob Sanktionen, Exportverbote oder politische Boykotte: Wirtschaft, Politik und auch Kommunikation sind heute untrennbar verflochten.

Unternehmen geraten schneller als je zuvor zwischen die Fronten. Nur ein paar Beispiele: Westliche Firmen müssen sich zu Kriegen positionieren oder aus Märkten zurückziehen. So beispielsweise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, als zahlreiche europäische und amerikanische Konzerne gezwungen waren, ihre Russland-Geschäfte einzustellen oder abzustoßen.

Auch Lieferketten werden durch politische Interventionen destabilisiert, etwa durch Exportkontrollen für Hightech-Komponenten im Handelskonflikt zwischen den USA und China, was besonders die Automobil- und Halbleiterindustrie trifft. Und die Energieversorgung selbst kann sogar zur geopolitischen Waffe werden, wie der Stopp russischer Gaslieferungen nach Europa drastisch gezeigt hat. Die Unternehmenskommunikation steht hier an vorderster Front. Sie muss Orientierung bieten, politische Risiken erklären und kommunikative Brücken bauen.

Ebenso verändert sich die Erwartungshaltung der Stakeholder von Unternehmen. Kunden, Investoren und Mitarbeiter erwarten Positionierungen zu politischen und gesellschaftlichen Großthemen. Die müssen kommuniziert werden. Gleichzeitig droht in polarisierter globaler Öffentlichkeit ein „Shitstorm“ aus mehreren Himmelsrichtungen. Die Kunst wird es sein, wertebasiert und gleichzeitig geopolitisch sensibel zu kommunizieren.

Geopolitische Krisen sind kommunikative Polykrisen. Eine geopolitische Krise betrifft nicht nur Standorte oder Logistik, sondern erzeugt auch Reputationsrisiken. Unternehmen müssen sich beispielsweise die Frage gefallen lassen, warum es in einem Kriegsland aktiv bleibt.

Oder Stakeholder stellen politische Anfragen und wollen wissen, welche Lobbyarbeit ein Unternehmen konkret betreibt. Oder es kann auch zu internen Unruhen kommen, weil Mitarbeiter familiäre Bindungen in Konfliktregionen hinein haben. Unternehmen und ihre Kommunikatoren müssen lernen, diese Ebenen integriert zu steuern.

Geopolitical Corporate Communications hat sechs Kerndimensionen. Dazu gehört erstens das Geopolitical Issue Monitoring. Professionelle Unternehmenskommunikatoren sollten ein Frühwarnsystem für geopolitische Kommunikationsrisiken etablieren. Dazu können sie sich aus offenen Quellen, Think-Tank-Analysen und interner Risikobewertung bedienen.

Zweitens brauchen Unternehmen ein Geopolitical Positioning. Unternehmenskommunikatoren sollten in Absprache mit der Unternehmensleitung klare Richtlinien definieren, wann und wie sie sich zu geopolitischen Konflikten äußern. Dies schützt vor Ad-hoc-Statements unter öffentlichem Druck.

Drittens sind heute vor allem geopolitische Narrative wichtig. Geopolitikorientierte Unternehmenskommunikatoren entwickeln robuste Narrative, die kulturell sensibel und geopolitisch stabil sind. Beispielhaft lässt sich sagen: Statt lediglich von „Nachhaltigkeit“ zu sprechen, wird „Versorgungssicherheit im Rahmen internationaler Verantwortung“ zum neuen Narrativ.

Viertens ist eine geopolitikfeste Krisenkommunikation essenziell. In Krisenkommunikationstrainings müssen unbedingt Geopolitik-Szenarien integriert werden. Und die müssen von Sanktionserweiterungen bis hin zu politisierten Hackerangriffen reichen.

Fünftens gewinnt eine geopolitikorientierte Stakeholder-Kommunikation an Bedeutung, da die Segmentierung der Anspruchsgruppen entlang geopolitischer Konfliktlinien unverzichtbar wird. Ein Statement kann in Berlin anders wirken als in Peking oder São Paulo.  Kommunikationsprofis müssen diese Spannungsfelder aktiv managen.

Schließlich gehört sechstens auch die interne geopolitische Kommunikation zu den Kerndimensionen.: Geopolitikaspekte müssen intern adressiert werden: in der Mitarbeiterkommunikation genauso wie in Führungskräftebriefings.

Geopolitical Corporate Communications wird die Unternehmenskommunikation in vielen Bereichen grundlegend verändern: von der reinen Imagepflege hin zum geopolitischen Frühwarnsystem, vom klassischen Reputationsmanagement zum strategischen Navigator im fragmentierten Weltmarkt. Wer sich als Kommunikator von Unternehmen nicht mit geopolitischen Dynamiken auseinandersetzt, riskiert kommunikatives Scheitern.

Geopolitikorientierte Unternehmenskommunikation ist nicht nur wieder ein neuer Trend im Kommunikatoren-Kosmos. Es ist die logische Antwort auf eine globalisierte, konfliktreiche und fragmentierte Welt. Es ist eine Reaktion auf die „Zeitenwende“. Unternehmen stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära der Unternehmenskommunikation. Geopolitical Corporate Communications ist ab sofort eine Pflichtkompetenz für uns Kommunikatoren. Und die klugen Akteure steigen jetzt schnell ein.

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