Was sollte ein Unternehmen tun, wenn sein Handelspartner wegen geopolitischer Verwerfungen ausfällt?

Von Boris van Thiel

Letzte Woche war ich wieder einmal in der Schweiz. Genauer gesagt in Bern. Die Architektur und das gesamte Stadtbild versetzen einen beinahe ins Mittelalter zurück, wäre da nicht die moderne Verkehrsinfrastruktur. Besonders auffällig bleibt für mich die Pünktlichkeit der Busse und Bahnen, die in der Schweiz tatsächlich wie ein Uhrwerk laufen.

Geopolitisch jedoch hat die Schweiz die Renaissance verschlafen. Seit dem 7. August 2025 gelten in den USA Strafzölle von 39 Prozent auf Schweizer Exporte. Das trifft das Land mit voller Wucht. Im Vergleich dazu belaufen sich die Zölle gegenüber der EU lediglich auf 15 Prozent. Die USA sind mit rund 17 Prozent der Gesamtexporte im Jahr 2024 der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Betroffen sind vor allem Pharma, Maschinen und Uhren – also die Leitindustrien, die das Land international auszeichnen.

Mit einem Aufschlag von 39 Prozent lassen sich diese Produkte jedoch kaum noch konkurrenzfähig in den USA absetzen. Während Politik und Verbände in Bern noch nach Schuldigen suchen und mögliche Kurswechsel in Washington diskutieren, bleibt für die betroffenen Unternehmen keine Zeit zu verlieren.

Die zentrale Frage lautet: Welche Alternativen gibt es, um den Ausfall eines so wichtigen Marktes zu kompensieren? Naheliegend ist, den europäischen Binnenmarkt stärker zu nutzen, nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktionsstandort, um die hohen Zölle mittelfristig zu umgehen.

Für deutsche Unternehmen bedeutet dies, dass sie sich künftig auf zusätzliche Konkurrenz aus der Schweiz einstellen müssen, gleichzeitig dürften auch Investitionen aus der Schweiz in die EU oder sogar direkt in die USA abfließen. Kurzfristig ließe sich vor allem eine Absatzsteigerung in Europa realisieren, wenn auch mit deutlich geringeren Margen. Der Aufbau neuer Produktionswerke dagegen benötigt Jahre.

Die entscheidende Lehre aus der Situation ist, dass Szenarioanalysen kein theoretisches Planspiel sind, sondern gelebte Resilienzpraxis darstellen. Man muss sich die Frage stellen, was geschieht, wenn der wichtigste Handelspartner kurzfristig durch geopolitische Verwerfungen ausfällt, und welche Maßnahmen eingeleitet werden können, um ein solches Ereignis abzufedern.

Diese Maßnahmen müssen in kurz-, mittel- und langfristige Schritte unterteilt und mit klaren Verantwortlichkeiten und Fristen versehen werden. Ein reiner Maßnahmenkatalog genügt nicht. Vielmehr muss das gesamte Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette eingebunden werden, vom Einkauf über die Produktion bis zum Vertrieb. Auch Schnittstellen sind sorgfältig zu überprüfen, denn hier entstehen häufig unterschätzte Abhängigkeiten.

Da Resilienzplanung zeit- und kostenintensiv ist, muss das Management nach dem Pareto-Prinzip Prioritäten setzen und sich auf die wenigen Hebel konzentrieren, die die größte Wirkung entfalten. Unternehmen, die geopolitische Entwicklungen kontinuierlich verfolgen und einordnen, können kritische Märkte und Produkte frühzeitig identifizieren und so einen Vorsprung aufbauen. Es reicht eben nicht, die Tageszeitung zu lesen, sondern es bedarf eines tieferen Verständnisses globalpolitischer und volkswirtschaftlicher Mechanismen.

Dass der Zollstreit zwischen den USA und der Schweiz unmittelbare Folgen auch für deutsche Unternehmen haben wird, macht die Komplexität dieser Entwicklung deutlich. Abwarten, was andere tun, ist keine Option. Der homo conservans oder auch homo resiliens, von dem ich bereits schrieb, tritt hier als Gegenmodell zum homo oeconomicus auf: nicht Gewinnmaximierung um jeden Preis, sondern vorsorgende Stabilität und nachhaltige Sicherung der Geschäftsgrundlagen.

Vielleicht erkennt die Schweiz nun, dass ihre selbstgewählte Isolation nur so lange tragfähig war, wie die geopolitische Konstellation es erlaubte. Die USA mögen nur knapp 17 Prozent der Schweizer Exporte abnehmen, doch der Kollateralschaden dürfte weitaus größer sein. Vielleicht führt genau dieser Druck zu einer stärkeren Öffnung gegenüber der Europäischen Union. In ihrer Rolle als Transitland im Herzen Europas hätte die Schweiz jedenfalls viel zu gewinnen.

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