Von Christian F. Hirsch
In den Morgenstunden des 22. Februar 2022 hat Russland die groß angelegte Invasion der Ukraine gestartet. Gleichzeitig drangen damals russische Truppen von Süden, Osten und Norden in das Nachbarland ein. Das war ein Donnerstag. Am Sonntag darauf hielt Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag dann seine berühmte Zeitenwende-Rede.
Als ich am Montagmorgen danach meine Runde durch das Unternehmen machte, für das ich damals arbeitete, sprach mich eine der Assistentinnen an: „Christian, findest Du es nicht auch so schrecklich, wie die Russen in der Ukraine unterdrückt werden? Endlich reagiert Putin und zahlt es diesen widerlichen Ukrainern heim.“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste: Mehr als ein Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten – sagen wir mal so – einen „russischsprachigen Hintergrund“. Das Startup hatte seinen Hauptsitz im Landkreis Cloppenburg, wo auch ich herstamme und wohin ich nach dem Tode meines Vaters eine kurze Zeit zurückgekehrt bin, um Familienangelegenheiten zu regeln.
Der Landkreis Cloppenburg ist eine Hochburg der Aussiedler und Spätaussiedler. Dort hat sich eine ganz eigene Infrastruktur herausgebildet: eigene Läden, eigene Kirchen, ein eigenes Vereinswesen. Von der autochthonen Urbevölkerung Südoldenburgs werden sie einfach nur „Russen“ genannt. Und das auch, wenn sie, wie jene Assistentin, in Cloppenburg geboren sind und der zweiten oder gar schon dritten Generation nach der Umsiedlung aus der früheren Sowjetunion angehören.
Einige Wochen nach diesem Beeinflussungsvorfall durch die Assistentin, denen weitere folgten – und das nicht nur von dieser Kollegin – traf ich auf dem Hof eine andere junge Kollegin. Sie hatte ganz verweinte Augen und war sichtlich neben der Spur. Als ich fragte, was los sei, erzählt sie es mir.
Sie hatte vor wenigen Wochen geheiratet. Ihr Mann hat familiäre Wurzeln in der Ukraine und auch noch einen Pass dieses Landes. Als er mit dem Auto in das Ursprungsland seiner Familie einreiste, war alles gut. Als er mit den Großeltern das Land verlassen wollte, durften die die Grenze passieren. Ihm wurde allerdings als wehrpflichtigen ukrainischen Staatsbürger, der sein ganzes Leben in Deutschland verbracht hatte, die Ausreise verwehrt. Meine junge, frisch verheiratete Kollegin sah sich urplötzlich mit dem Status einer „Soldatenfrau“ konfrontiert.
Die geopolitische Renaissance ist kein abstraktes Szenario für Diplomatenrunden oder Analystenschreibtische. Sie wirkt längst tief in die DNA von Unternehmen auch in der deutschen Provinz hinein. Selbst in einem mittelgroßen Unternehmen im beschaulichen Cloppenburg treffen ganz plötzlich eine „Putin-Propagandistin“ und eine ukrainische „Soldatenbraut“ auf einander. Da ist der Konflikt doch vorprogrammiert.
Ob Kriege irgendwo auf der Welt, Sanktionen, Lieferkettenabbrüche, Technologie-Embargos oder Desinformationskampagnen: Das geopolitische Klima verändert den Arbeitsalltag in Unternehmen in ganz Deutschland. Sie stellt besonders die Interne Kommunikationvor neue, oft ungewohnte Aufgaben.
Während die externe Unternehmenskommunikation seit jeher im Spannungsfeld politischer und wirtschaftlicher Strömungen agiert, galt die Interne Kommunikation lange als interne Servicefunktion: Sie informierte, koordinierte, erklärte. Doch in einer Welt multipler Krisen wird sie zu einem strategischen Instrument und zum internen Stabilitätsanker. Doch sie steht vor großen Herausforderungen und Veränderungen.
In dem neuen geopolitischen Zeitalter, das gerade anbricht, wird die Interne Kommunikation vom Informationsverteiler zum Resilienzfaktor.Krisen und geopolitische Verwerfungen erzeugen Unsicherheit. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen wissen: „Was bedeutet das für meinen Arbeitsplatz, für unsere Märkte, für unser Unternehmen?“
Die Interne Kommunikation muss hier mehr leisten als die bloße Weitergabe von Informationen. Sie muss Orientierung geben, Vertrauen schaffen und eine gemeinsame Haltung fördern. Selbst dann, wenn Entscheidungen komplex, unpopulär oder auf den ersten Blick unverständlich erscheinen.
Das erfordert narrative Kompetenz: Unternehmensentscheidungen müssen eingebettet werden in eine verständliche geopolitische Gesamterzählung. Beispiel: Wenn ein Unternehmen sich aus einem Markt zurückzieht, weil dort politische Risiken eskalieren, sollte die Interne Kommunikation nicht nur die operative Entscheidung kommunizieren, sondern auch deren geopolitischen Hintergrund. Und welche Chancen sich durch Umsteuerung ergeben.
In diesen neuen Zeiten wird geopolitisches Grundwissen für Interne Kommunikatoren zum Pflichtfach. Früher war es ausreichend, wenn interne Kommunikatoren Branchenkenntnis und Storytelling beherrschten. Heute müssen sie zusätzlich in der Lage sein, geopolitische Entwicklungen zu deuten und deren Bedeutung für das Unternehmen herunterzubrechen.
Das bedeutet: Komplexitätsreduktion ohne Banalisierung, Kontextualisierung globaler Ereignisse für unterschiedliche Unternehmensbereiche und die Übersetzung politischer Entscheidungen in konkrete betriebliche Auswirkungen. Ein Exportteam in Südostasien braucht andere geopolitische Updates als ein Entwicklungsteam im heimischen Headquarter. Interne Kommunikation muss noch zielgruppenspezifischer arbeiten als bisher und dabei immer den roten Faden der Unternehmensstrategie mitführen.
Interne Kommunikatoren bekommen ganz neue Aufgaben in der Desinformationsabwehr, in der Befassung mit Gerüchten und auch der aus ihnen oft entstehenden Angst. Die geopolitische Renaissance geht nämlich mit einer Renaissance der Propaganda einher. Social Media und Messenger-Dienste schleusen externe Narrative in den internen Diskurs. Das Risiko: Gerüchte, Polarisierung und Vertrauensverlust. Und das selbst in Organisationen mit starker Kultur.
Interne Kommunikatoren müssen daher Mechanismen entwickeln, um Falschinformationen schnell zu identifizieren, interne Debatten zu versachlichen und proaktiv Fakten bereitzustellen, bevor Unsicherheit eskaliert. Dazu gehört auch der Mut, Ungewissheit transparent zu kommunizieren. In geopolitischen Krisen ist es manchmal ehrlicher zu sagen: „Wir wissen es noch nicht.“ Das ist besser,als falsche Gewissheit zu erzeugen.
Mehr als jemals zuvor müssen interne Kommunikatoren heute kulturelle Spannungsfelder managen. In internationalen Teams treffen unterschiedliche nationale Perspektiven auf geopolitische Konflikte. Was für die einen eine legitime Sicherheitsmaßnahme ist, kann für andere wie Diskriminierung wirken. Die Interne Kommunikation muss hier diskursive Sicherheit schaffen: Räume, in denen unterschiedliche Sichtweisen respektvoll geäußert werden können, ohne dass die
Debatte eskaliert. Das erfordert Sensibilisierungstrainings für Führungskräfte, Moderationskompetenz für schwierige Gespräche und klare Leitplanken, welche Werte das Unternehmen in politischen Kontroversen vertritt. Die Internen Kommunikatoren sollten zudem möglichst schnell ihre Schnittstelle zum Risikomanagement neu überdenken. Nach meinen Beobachtungen ist die Kooperation zwischen beiden in vielen Unternehmen eher mangelhaft ausgeprägt. In geopolitisch aufgeladenen Zeiten kann die Interne Kommunikation nicht isoliert agieren. Sie muss eng mit Risikomanagement, Compliance, Sicherheit und Human Ressources vernetzt sein.
Denn nur so lassen sich konsistente Botschaften entwickeln, interne Reaktionsketten für Krisen vorbereiten und Szenarien durchspielen, in denen interne Kommunikation ein entscheidender Faktor für die Handlungsfähigkeit ist. Ein geopolitisch sensibler Krisenplan beinhaltet heute auch: Wie kommunizieren wir intern, wenn wir Ziel einer staatlich gesteuerten Desinformationskampagne werden?
Und die Interne Kommunikation darf nicht erst dann aktiv werden, wenn die Krise schon tobt. In einer geopolitisch volatilen Welt ist präventive interne Kommunikation ein Wettbewerbsvorteil. Dazu gehören: Frühwarn-Newsletter für Mitarbeitende zu relevanten geopolitischen Entwicklungen, regelmäßige Lage-Updates aus der Unternehmensführung und interne Dialogformate, in denen Fragen offen adressiert werden können. Das Ziel: eine Belegschaft, die nicht überrascht wird, sondern vorbereitet ist und die im Ernstfall handlungsfähig bleibt.
Die Interne Kommunikation steht vor einem Paradigmenwechsel: Vom internen Newsticker zur strategischen Kommunikations- und Resilienzarchitektur. In einer Zeit, in der geopolitische Dynamiken nicht an Grenzen und auch nicht an Bürotüren haltmachen, wird die Interne Kommunikation zum zentralen Hebel für Zusammenhalt, Orientierung und Handlungsfähigkeit. Wer jetzt in geopolitiksensible Interne Kommunikation investiert, investiert in weit mehr als in gute Mitarbeiterinformation. Er investiert in die strategische Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Die neue geopolitische Zeit sollte für Interne Kommunikatoren ein Weckruf sein.