Warum sollten sich auch regionale Unternehmen mit Geopolitik befassen?

Von Boris van Thiel

Viele mittelständische Unternehmen vertreten die Ansicht, dass geopolitische Entwicklungen für sie keine Relevanz haben. Das gilt gerade in ländlich geprägten Regionen.

Nehmen wir als Beispiel einen Fleischproduzenten im Oldenburger Münsterland, einer landwirtschaftlich geprägten Region im nordwestlichen Niedersachsen. Dort in meiner alten Heimatstadt Cloppenburg gibt es zahlreiche solcher Produzenten.

Das Rohfleisch stammt von regionalen landwirtschaftlichen Betrieben, die Abnahme der Endprodukte erfolgt ebenfalls meist in der Region. Warum also sollte sich ein solcher Betrieb mit Geopolitik beschäftigen? Diese Sichtweise ist weit verbreitet. Aber sie ist gefährlich eindimensional.

Viele Unternehmer glauben, geopolitisch bedingte Preissteigerungen, verursacht etwa durch geopolitische Veränderungen in der Versorgung mit Energie oder im Transportbereich, träfen alle gleichermaßen und könnten letztlich einfach an den Endkunden weitergegeben werden. So entstehe ein vermeintliches Nullsummenspiel. Doch diese Annahme ist falsch.

Erstens wirken sich geopolitische Ereignisse zeitverzögert aus. Nicht jeder Akteur kann Preissteigerungen im gleichen Moment weitergeben. Zweitens bestimmt der Markt, nicht der Hersteller, über Angebot, Nachfrage und letztlich über den Preis. Wer vorbereitet ist, kann schneller und gezielter reagieren und sich im Wettbewerb besser behaupten.

Was also hat ein Unternehmen davon, sich frühzeitig mit geopolitischen Entwicklungen auseinanderzusetzen? Die Antwort ist einfach: Es gewinnt Zeit, Handlungsspielraum und im besten Fall einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Wer Entwicklungen, Krisen oder Trends früh erkennt, kann Szenarien durchdenken, Alternativen entwickeln und gezielte Maßnahmen ergreifen. Das unterscheidet resilient geführte Unternehmen von reaktiv geführten.

Ein prominentes Negativbeispiel: Ein großer Fleischhersteller ignorierte über Jahre hinweg die Klimadebatte. Dann wunderte er sich, als seine Produkte plötzlich nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Ignoranz, Unwissenheit und Leichtsinn führten geradewegs in die Insolvenz. Ein vorausschauendes Management hätte diesen Verlauf vermeiden können.

Geopolitische Entwicklungen betreffen nicht nur große Konzerne oder exportorientierte Branchen. Viele Ereignisse wirken auf räumlich begrenzte Regionen. Und mit potenziell gravierenden Folgen für lokale Unternehmen.

Denken wir da etwa an die Schließung der Straße von Hormus: Sie betrifft Öl- und Gastransporte weltweit. Die Folge sind steigende Energiepreise, höhere Transportkosten und unsichere Lieferketten.

Oder auch Zölle und Handelssanktionen: Regional gesetzt, sind sie global wirksam. Sie können Märkte verzerren, neue Wettbewerber anziehen oder bestehende Verbindungen kappen.

Ein weiteres Beispiel sind Versorgungsengpässe: Durch Krieg, Embargos oder Naturkatastrophen ausgelöst, treffen sie oft Branchen, die es nicht erwartet hätten. All diese Risiken lassen sich nicht verhindern. Aber sie lassen sich antizipieren und in strategische Entscheidungen integrieren.

Seit dem Ende des Kalten Krieges, insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren, herrschte in großen Teilen der Welt das Gefühl einer geopolitischen Stabilität. In Zeiten der sogenannten Friedensdividende war geopolitisches Denken für viele Unternehmen keine Priorität.

Zwar kam es auch damals zu regionalen Krisen, doch diese blieben oft ohne spürbare Auswirkungen auf globale Lieferketten oder Absatzmärkte. Der Fokus lag vielmehr auf Effizienzsteigerung durch Just-in-time-Produktion, Offshoring oder die Konzentration auf wenige, kostengünstige Zulieferer in politisch „sicheren“ Regionen.

Diese Phase ist vorbei. Mit dem Übergang von einer unipolaren Weltordnung hin zu einem zunehmend multipolaren Machtgefüge nehmen geopolitische Spannungen, Sanktionen und protektionistische Maßnahmen weltweit zu. Die Folge sind gravierende Störungen wirtschaftlicher Abläufe: von Lieferkettenabbrüchen über Rohstoffknappheit bis hin zu Marktverlusten. Unternehmen, die geopolitische Risiken ignorieren, laufen Gefahr, über Nacht in eine existenzielle Schieflage zu geraten.

Moderne Unternehmensführung erkennt daher: Geopolitische Resilienz ist keine Option. Sie ist eine Führungsaufgabe. Unternehmen, die geopolitisch denken und entsprechend handeln, entwickeln alternative Lieferketten, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Sie haben Substitutionsstrategien für kritische Rohstoffe und Vorprodukte. Sie erlangen Zugang zu neuen Absatzmärkten, um Marktrisiken zu streuen. Und sie diversifizieren Produktionsstandorte, um regionalen Schocks zu begegnen.

Kurz: Sie verlassen das Silodenken und betrachten das eigene Geschäftsmodell im Kontext globaler Zusammenhänge. Wer geopolitisch vorbereitet ist, kann schneller reagieren, Chancen erkennen und Risiken abfedern. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil in unsicheren Zeiten.

In meiner alten Heimat im Oldenburger Münsterland sagt man gerne: „Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln.“ Das soll heißen: Nicht immer gewinnt der Klügste. Manchmal ist es einfach Glück. Doch auf Glück sollte sich verantwortungsvolle Unternehmensführung nicht verlassen. Wer heute erfolgreich sein will, muss vorbereitet sein. Denn: Zufall ist keine Strategie.

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