Von Boris van Thiel
Jeder kennt sie: Leuchttürme. Meist aus dem Strandurlaub, oft als malerische Kulisse für Urlaubsfotos. Doch ihre eigentliche Funktion war stets eine andere. Als markante Bauwerke dienten sie Seefahrern über Jahrhunderte als Orientierungspunkte in unbekannten Gewässern. Durch ihre Höhe und charakteristischen Lichtsignale halfen sie, gefährliche Küstenlinien, Riffe oder Untiefen rechtzeitig zu erkennen und so Unfälle zu vermeiden.
Mit der Einführung moderner Navigationstechnologien verlor der klassische Leuchtturm an Bedeutung. Doch in jüngster Zeit erlebt das Konzept im Bereich des Katastrophenschutzes eine bemerkenswerte Renaissance. Mehrere Kommunen in Deutschland und Europa testen derzeit Ansätze, Leuchttürme wieder als Anlaufpunkte im Krisenfall zu etablieren.
Bei Ausfall herkömmlicher Kommunikationswege sollen sie durch Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer betrieben werden. Diese „Katastrophenschutz-Leuchttürme“ dienen als zentrale Orte für Erstversorgung, Informationsbereitstellung und Koordination von Hilfsmaßnahmen. Ob sich das Konzept in der Praxis bewährt, wird die Zeit zeigen, doch es erscheint vernünftig und zukunftsweisend.
Diese Idee lässt sich auch auf die Wirtschaft übertragen. Unternehmen sind in Krisen nicht nur intern gefordert, sondern auch auf einen funktionierenden Austausch mit ihrem externen Ökosystem angewiesen. Dazu gehören Lieferanten, lokale Kunden, Familien der Mitarbeitenden, Versorgungsunternehmen und öffentliche Stellen.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Unternehmen, die in engem Austausch mit ihrem Umfeld standen, Krisen schneller und besser bewältigten als jene, die sich ausschließlich auf ihre interne Handlungsfähigkeit konzentrierten. Stakeholdermanagement ist damit ein wesentlicher Bestandteil Organisationaler Resilienz. Ein „Unternehmensleuchtturm“ kann in Krisen als verbindendes Element dienen, das Kommunikation und Kooperation mit externen Partnern sicherstellt.
Gerade in Szenarien, in denen Krisen flächendeckend auftreten, kann ein Unternehmen durch die Einrichtung eines lokalen Anlaufpunkts im Ernstfall die Kommunikationslücke zwischen internen und externen Stakeholdern effizient schließen. Das Leuchtturmkonzept muss dabei in der Unternehmenskommunikation und an der Schnittstelle zum Krisenmanagement verankert werden. Es ersetzt nicht den Krisenstab, der vornehmlich intern agiert, und es konkurriert nicht mit kommunalen Strukturen. Ein „Unternehmensleuchtturm“ kann diese allerdings sinnvoll ergänzen.
Besonders Unternehmen, die zur kritischen Infrastruktur zählen, haben aufgrund gesetzlicher Vorgaben wie dem KRITIS-Dachgesetz eine besondere Verpflichtung, im Notfall ihre Versorgungsleistungen aufrechtzuerhalten. Daraus ergeben sich zusätzliche Anforderungen an das Krisenmanagement.
Der Einsatz eines „Unternehmensleuchtturms“ kann im anfänglichen Chaos einer Krise der entscheidende Faktor sein. Er versorgt Betroffene mit Informationen und Basisleistungen, bietet Behörden und Blaulichtorganisationen einen klar definierten Anlaufpunkt und trägt wesentlich zur Krisenbewältigung bei. So wie die klassischen Leuchttürme den Seefahrern einst halfen, gefährliche Gewässer zu durchqueren, können „Unternehmensleuchttürme“ heute ein Symbol für Resilienz, Orientierung und Sicherheit in Zeiten zunehmender Unsicherheit sein.
Doch was hat das alles mit unternehmensfokussierter Geopolitik zu tun, dem Thema, dem sich dieser Fachblog widmet? Ganz einfach: Im Kontext der Renaissance der Geopolitik verändern sich auch die Formen der Bedrohung. Unternehmen sehen sich heute nicht mehr nur klassischen Krisen gegenüber. Die geopolitisch induzierten Krisen haben eine ganz neue Qualität: Hybride Kriegführung ist nicht länger ein abstraktes militärisches Konzept. Sie trifft Firmen über digitale Angriffe, Desinformationskampagnen, politische Sanktionen, wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen oder die Instrumentalisierung von Migration. Das alles ist oft schwer zuordenbar, oft nicht einmal als Krieg erkennbar, aber mit realen und massiven Auswirkungen auf das Geschäft.
Diese Gefahren sind Teil einer größeren Polykrise, in der sich multiple Krisendynamiken – geopolitisch, ökologisch, ökonomisch, gesellschaftlich – gegenseitig verstärken. Für Unternehmen bedeutet das: Sie müssen sich von linearen Krisenmodellen verabschieden und sich auf eine Welt vorbereiten, in der der Ausnahmezustand zur Regel wird.
Geopolitik fordert deshalb, dass Unternehmen ihr Krisenmanagement neu denken. Es reicht nicht mehr aus, auf etablierte Routinen zu setzen oder die Verantwortung an externe Dienstleister zu delegieren. Gefragt ist eine geopolitikorientierte Resilienzstrategie: vorausschauend, adaptiv und realitätsnah. Das bedeutet auch, sich nach neuen Ideen umzuschauen. Jenseits des Gewohnten, jenseits des rein Betriebswirtschaftlichen. Und „Unternehmensleuchttürme“ sind eine solche Idee jenseits des Gewohnten. Sie können wichtige Orientierungspunkte in geopolitischen Krisen sein und gehören in die Resilienzstrategie von Unternehmen.