Von Christian F. Hirsch
Die Spielregeln der Wirtschaft verändern sich fundamental. In einer Welt, in der Russland Europa mit Energie erpresst, China globale Lieferketten als Hebel nutzt und politische Instabilität in Afrika, Lateinamerika oder dem Nahen Osten unmittelbare Auswirkungen auf westliche Märkte hat, genügt es nicht mehr, als Führungskraft betriebswirtschaftlich zu denken. Die Zeiten der Globalisierung als geoökonomisches Spielfeld sind vorbei. An ihre Stelle tritt eine neue Weltordnung: die Ära des geopolitischen Wettbewerbs. Für Unternehmen bedeutet das nicht weniger als eine Führungswende.
Die gegenwärtige Generation von Führungskräften ist in der Kultur der Globalisierung groß geworden. Sie wurde sozialisiert mit dem Glauben an offene Märkte, multilaterale Institutionen, ökonomische Vernunft und die Idee, dass wirtschaftliche Verflechtung politische Konflikte zähmt. Diese Narrative prägten nicht nur wirtschaftspolitische Entscheidungen, sondern auch die Art, wie Unternehmensführung gedacht und gelehrt wurde. Und das insbesondere an Business Schools, die betriebswirtschaftliche Rationalität über alles stellten.
Doch diese Weltordnung hat Risse bekommen. Und mit ihr die Denkmodelle der alten Führungslehre. Heute ist nicht mehr die günstigste Lieferkette entscheidend, sondern die resilienteste. Nicht mehr der schnellste Markteintritt, sondern der politisch tragfähigste. Es geht nicht mehr allein um Effizienz, sondern um Robustheit und Weitblick.
Geopolitisches Denken ist kein Nice-to-Have für Führungskräfte mehr, sondern ein strategisches Muss. Wer die politische Dimension von Risiken und Märkten ignoriert, läuft Gefahr, blind zu führen. Sanktionen, Embargos, protektionistische Gesetzgebungen, Cyberangriffe durch staatlich gelenkte Akteure, hybride Konflikte und ideologisch aufgeladene Narrative verändern die Geschäftsgrundlage ganzer Branchen. Das betrifft längst nicht mehr nur Großkonzerne, sondern auch Mittelständler, Hidden Champions und Start-ups mit internationalen Partnern.
Führung bedeutet in diesem Kontext, nicht nur nach innen zu organisieren, sondern nach außen zu antizipieren: Was bedeutet ein eskalierender Taiwan-Konflikt für mein Unternehmen? Welche Bedeutung haben CO₂-Zertifikate als geopolitisches Machtinstrument? Wie navigiere ich zwischen ESG-Verpflichtungen und politischer Instrumentalisierung? Welche Narrative wirken in der Gesellschaft. Und wie verändern sie die Erwartungshaltung an mein Unternehmen?
Diese veränderte Weltlage verlangt eine Transformation der Führungskultur. Es reicht nicht mehr, Manager zu Exzellenz in Finance, Operations oder Marketing zu drillen. Gefragt sind geopolitische Urteilskraft, sicherheitspolitische Grundbildung und eine neue Art von politischer Intelligenz. Führungskräfte müssen lernen, in Szenarien zu denken, Ambiguität auszuhalten und komplexe Zusammenhänge zwischen Politik, Wirtschaft, Sicherheit und Gesellschaft zu erkennen und kommunikativ zu vermitteln.
Business Schools stehen hier besonders in der Pflicht. Sie müssen ihr Curriculum reformieren: weg von rein ökonomischen Modellen, hin zu transdisziplinären Ansätzen, die Geopolitik, Systemtheorie, Risikoethik und Krisenmanagement integrieren. Wer heute MBA-Programme anbietet, ohne auf die geopolitische Realität einzugehen, produziert Führungskräfte für eine Welt, die es nicht mehr gibt.
Unternehmen operieren heute nicht mehr in neutralen Räumen, sondern in einem von Machtinteressen strukturierten System. In dieser Welt ist Führung nicht nur ein betriebswirtschaftlicher, sondern ein politischer Akt. Geopolitiksensible Führung bedeutet, Verantwortung in einer komplexen Welt zu übernehmen. Und das nicht nur gegenüber Shareholdern, sondern auch gegenüber Gesellschaften, Demokratien und globalen Ordnungen. Wer sich dieser Verantwortung nicht stellt, wird nicht nur überholt, sondern gefährdet die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens.