Warum ist Personalresilienz geopolitisch eine Überlebensstrategie?

Von Boris van Thiel

Mich treiben als Unternehmer derzeit mehrere Themen um, eines davon ganz zentral: Personal. Und ehrlich gesagt macht mir Sorge, wie naiv wir in Deutschland in eine gewaltige Personalfalle hineinlaufen. Dass die Babyboomer in ihre wohlverdiente Rente gehen, ist bekannt. Diese Generation hat enorme Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung geleistet, und dass künftig immer weniger Beschäftigte die immer schwerer werdende Last schultern müssen, kann man ihnen nicht vorwerfen, es ist ein Produkt von Demografie, Globalisierung und jahrzehntelanger wirtschaftlicher Dynamik.

Aber die Debatte über Schuld oder Verantwortung löst unser Problem nicht, denn die Frage bleibt: Woher sollen die Fachkräfte kommen, die die immer größer werdenden Lücken schließen? Weder KI noch Migration werden kurzfristig Abhilfe schaffen. Tun wir nichts, droht uns eine Entwicklung wie auf den Wohnungsmärkten der Großstädte, eine Lohnspirale, die KMUs kaum bewältigen können. Viele kleine und mittlere Unternehmen würden im Wettbewerb um Talente schlicht untergehen. Und das ausgerechnet im Rückgrat unserer Wirtschaft.

Wenn wir über Personalresilienz sprechen, meinen wir nicht nur Personalgewinnung, sondern vor allem Bindung, Wissenserhalt und Attraktivität als Arbeitgeber. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter als wertvollstes Gut behandeln, denn wer Menschen langfristig halten will, muss ihnen Wertschätzung, angemessene Vergütung und freiwillige Zusatzleistungen bieten, ihnen Aufstiegsperspektiven eröffnen und ihnen auch räumliche Veränderungen innerhalb eines Unternehmensverbundes ermöglichen. Gerade junge Talente wollen Zukunft, nicht nur Aufgaben.

Gleichzeitig dürfen wir das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter nicht verlieren, denn sie tragen fachliche und unternehmerische Kompetenz in sich, die für das Überleben vieler Unternehmen zentral ist. Dieses Wissen muss frühzeitig gesichert, dokumentiert und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, sei es über Mentoring, strukturierte Übergaben oder gezielte Wissensprogramme. Ebenso entscheidend ist es, Nachwuchskräfte früh an das Unternehmen heranzuführen, etwa über Praktika, Werkstudententätigkeiten oder duale Studienprogramme, denn wer junge Talente rechtzeitig einbindet, gewinnt nicht nur Arbeitskraft, sondern langfristige Loyalität.

Zusätzlich müssen Unternehmen ein attraktives, zeitgemäßes Arbeitsumfeld schaffen, das mit einer modernen Website, einer aktiven Präsenz in sozialen Medien, klaren Werten, echten Karrierechancen und vor allem langfristiger Jobsicherheit überzeugt. Fachkräfte wählen heute nicht nur einen Job, sondern ein Umfeld, das zu ihren Vorstellungen passt.

Dennoch bleibt die Frage, wie die Lücke tatsächlich geschlossen werden kann, denn all die vorgenannten Maßnahmen sind letztlich Verdrängungsstrategien. Unternehmen müssen prüfen, inwiefern neue Technologien bestimmte Tätigkeiten langfristig ersetzen oder Prozesse so effizient gestalten können, dass dieselbe Leistung mit weniger Personal erbracht wird. Dazu reicht es nicht, Mitarbeitende lediglich an Werkzeuge wie ChatGPT heranzuführen, sondern es braucht eine durchdachte und langfristig angelegte Digitalisierungsstrategie.

Künstliche Intelligenz kann vielseitig eingesetzt werden, insbesondere bei Routinearbeiten, administrativen Aufgaben oder der Verarbeitung großer Datenmengen. Trotz des derzeit gegenläufigen Trends einer globalen Renationalisierung müssen Unternehmen darüber nachdenken, welche Aufgaben ausgelagert werden können: Überall dort, wo in Deutschland schlicht kein Nachwuchs verfügbar ist.

Dass dies nur bedingt funktioniert, liegt auf der Hand, aber dennoch können Lösungen gefunden werden. Outsourcing bestimmter Bereiche kann sinnvoll sein, wenn spezialisierte Anbieter Leistungen bündeln und dadurch effizienter bereitstellen können. Handelt es sich jedoch um Fachkräfte in Kernbereichen, ist Outsourcing kaum geeignet. In solchen Fällen bieten sich Kooperationen mit anderen Unternehmen an, die ähnliche Leistungen erbringen. So können Lastspitzen gemeinsam abgearbeitet und größere Projekte in Arbeitsgemeinschaften angeboten und umgesetzt werden.

Dieses Konzept wurde bereits erfolgreich von deutschen Ingenieurbüros im Ausland angewandt: Einzelne Unternehmen verfügten weder über die kritische Größe noch über die finanziellen Kapazitäten, um Großprojekte allein zu stemmen, und schlossen sich daher in Kooperationsgemeinschaften zusammen. Aus Konkurrenten wurden Partner ein Win-win für alle Beteiligten, ebenso für die Auftraggeber. Die Personalfalle kommt nicht erst in einigen Jahren. Wir stecken längst mittendrin. Doch Unternehmen sind ihr nicht ausgeliefert. Wer Mitarbeiter wertschätzt, Wissen sichert, früh in Nachwuchs investiert, ein modernes Arbeitsumfeld schafft und Technologien sowie Kooperationen strategisch nutzt, baut echte Personalresilienz auf, und Resilienz ist in einer Welt des Wandels längst mehr als ein Konzept. Sie ist für Unternehmen eine auch eine geopolitische Überlebensstrategie.

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